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Reichspogromnacht

Von Stadtwiki

(Weitergeleitet von 10. November 1938)
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In der Reichspogromnacht der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 fanden im gesamten Deutschen Reich Ausschreitungen gegen Juden statt. In diesem Artikel sind Augenzeugenberichte vom Morgen des 10. November in Pforzheim gesammelt.

Inhaltsverzeichnis

Willkommener Anlass: eine Verzweiflungstat

Am 28. Oktober 1938 schafft die Nazi-Terror-Organisation SS über 17.000 Juden, die nach dem 1. Weltkrieg nach Deutschland eingewandert waren, an die Ostgrenze, um sie nach Polen abzuschieben. Da die polnische Regierung diese Menschen nicht einreisen lässt, müssen sie im Niemandsland ohne Unterkunft, Verpflegung und ärztliche Versorgung vegetieren. Aus Verzweiflung über diese Situation gibt Herschel Grünspan, dessen Eltern unter den Deportierten sind, am 7. November in Paris mehrere Schüsse auf den Nazi-Gesandtschaftsrat Ernst vom Rath ab. Dessen Tod am 9. November nehmen die Nationalsozialisten zum Anlass für die reichsweiten Pogrome gegen die noch nicht aus Deutschland geflohenen Juden. Blitztelegramme und Fernschreiben der Nazi-Führer Goebbels, Heydrich und Müller fordern die NSDAP-Ortsgruppen auf, Aktionen gegen Juden durchzuführen, jedoch laut Nazi-Führer Goebbels so, dass „die Partei nach außen nicht als Urheber in Erscheinung“ tritt.

Die Nacht vom 9. auf den 10. November 1938

Am Abend des 9. November feiern auch in Pforzheim Nazis den „Marsch auf die Feldherrnhalle“, den Putschversuch von Hitler 1923. Bier und Wein fließen in Strömen, im Hotel Ruf, im Schlosskeller am Bahnhofsplatz, in der Traube in Brötzingen. Nach Mitternacht kommt der Anruf, die Nazis sollen sich in Zivil an den SA-Treffpunkten versammeln. Dort erhalten sie Zettel mit Namen von Juden vor allem in der Nordstadt und die Anweisung, diese als Rache für die Ermordung des Gesandtschaftsrats vom Rath zu verprügeln. Die z.T. stark alkoholisierten Nazis verschaffen sich unter Vorwänden, sie seien Kriminalbeamte bzw. Telegrammboten, Zutritt zu den Wohnungen und schlagen die aus dem Schlaf gerissenen Menschen krankenhausreif.

Am Morgen des 10. November 1938: Zerstörung der Synagoge an der Zerrennerstrasse

Lilli Adler, Augenzeugin der Zerstörung der Synagoge, hier auf einem Foto, aufgenommen 1937 im Café Simon; auch dieses Café demolierten Nazis am 10. November; Lilli Adler konnte mit ihren Eltern und ihrer Schwester noch rechtzeitig nach Großbritannien fliehen.
Herta Dreifuß, Augenzeugin der Zerstörung der Synagoge am Morgen des 10. November 1938, konnte mit ihren Eltern noch rechtzeitig 1939 in die USA fliehen.

Schon vor 9 Uhr am Morgen demolieren Nazis in Zivil systematisch die Synagoge, zerschlagen die Einrichtung, zertrümmern die Scheiben, werfen Gebetbücher, Thora-Rollen und andere Kultgegenstände in den am Gotteshaus vorbeiführenden Kanal. Um die benachbarten Häuser nicht zu gefährden, wird in der Synagoge nur eine kleine Sprengladung gezündet.

Lilli Adler, damals 28 Jahre alt, schreibt über den Morgen des 10. November:

„Ich arbeitete damals bei der Firma L. S. Mayer GmbH, Westliche Karl-Friedrich-Straße 43. Von meinem Arbeitsplatz aus konnte ich die große kupferne Kuppel der Synagoge genau sehen. Ich sah also, wie etliche Männer auf der Kuppel herumhackten. Meine Gefühle darüber brauche ich Ihnen nicht wiederzugeben…“

Herta Dreifuß, knapp 14 Jahre alt, die 1936 zwangsweise das Schulgetto an der Hindenburg– heute Osterfeldschule besuchen musste, erinnert sich an den Heimweg an diesen Morgen:

„Ich ging mit meiner Freundin Ursula Nathan auf Umwegen nachhause. An der Zerrennerstraße war ein großer Auflauf vor der Synagoge, wo dichter Rauch aus der zerstörten Fenstern strömte und der Stern Davids an der Cupola umgebogen war – ein Anblick, den ich nie vergessen werde. Erst dann, als ich nachhause kam, erfuhren meine Eltern, was sich zugetragen hatte. Am Nachmittag wurde mein Vater verhaftet, er war bis zum 16. Dezember 1938 in Dachau eingesperrt…“

10. November: Zerstörung von Ladengeschäften

Sali Schauer, am Morgen des 10. November 1938 Augenzeugin der Zerstörung von Geschäften, deren Besitzer „Nichtarier“ waren, konnte sich mit ihren Eltern und ihren Geschwistern Bertha und Moritz noch rechtzeitig 1939 in die USA in Sicherheit bringen.

Sali Schauer, geb. 1910 in Pforzheim, schreibt über die Verwüstung der Geschäfte ihrer Eltern:

„Meine Eltern hatten in Pforzheim zwei Schuhgeschäfte (Anm.: ’Edox’ in der Westlichen und ‚Schuhhaus Heinrich Schauer’ am Sedanplatz) bis zu dem Zeitpunkt, wo Hitler alles zerstörte. Mein Vater und Bruder wurden zu dieser Zeit in das KZ-Lager Dachau gebracht. Mein Vater hat diesen schrecklichen Abschnitt überlebt und wir konnten mit großer Mühe seinerzeit unsere Heimat verlassen…“

Eleonore Peritz, 30 Jahre alt, muss am Morgen die Zerstörung und Plünderung eines Geschäfts miterleben, dessen Besitzer “nichtarisch” war:

„Ich selbst war betroffen von dem Pogrom am 10. November 1938. Ich war eine Angestellte, Kassiererin und zuständig für alle schriftlichen Arbeiten bei dem großen Schuhwarenhaus ‚Speier AG’ am Leopoldplatz. Ich glaube, es waren fünf große Fenster, mit Schuhen dekoriert. Die Fenster waren alle zerstört, die Schuhe alle auf der Straße, ich als die einzige jüdische Angestellte wurde herausgeholt, umgeben von Hunderten von Leuten, die Polizei im Vordergrund – ich musste die Schuhe säubern und alle Schuhe wieder hineinwerfen…“

Die 37-jährige Lilli Furchheimer, die 1939 mit ihrem Mann, ihrer Tochter und ihren Eltern noch rechtzeitig über Großbritannien in die USA fliehen konnte:

„Soweit ich mich erinnern kann, sah ich selbst zwei Tage nach der sogenannten Kristallnacht zerstört: Ecke Zerrenner- und Leopoldstraße ‚Weißwarenhaus Siegmann’, Westliche Karl-Friedrich-Straße neben dem Kino das ‚Kaufhaus Dreifuß’ ebenso in der Westlichen ‚Schuhhaus Schauer’ und natürlich die Synagoge in der Zerrennerstraße…“

Weitere zerstörte Geschäfte waren Adler am Güterbahnhof, Fischer in der Östlichen, Kaufhaus Globus in der Leopoldstraße, das Café Simon in der Leopoldstr./Ecke Zerrennerstrasse und Weinschel in der Dillsteiner Straße.

10. November: Misshandlung und Verschleppung

Hans Bensinger, hier 1935 als Grundschüler der Adolf-Hitler-, heute Nordstadt-Schule, musste 1936 zwangsweise das Schulgetto an der Hindenburg-, heute Osterfeld-Schule besuchen. Als Zehnjähriger musste er miterleben, wie die Gestapo am 10. November 1938 seinen Vater abholte, ohne Angabe des „Warum“ und „Wohin“. Hans Bensinger konnte mit seiner Mutter und seiner Schwester Ida 1939 nach Bolivien ausreisen; der Vater Salomon erreichte im selben Jahr noch rechtzeitig eine Überfahrt in die USA

Hans Bensinger musste als Zehnjähriger miterleben, wie die Gestapo seinen Vater abholte:

„Mein Vater war gerade dabei, die Fensterläden zuzumachen, als es zwischen ½ 6 und 6 Uhr klingelte. Ich machte die Tür auf, und es waren zwei von der Gestapo, die ‚mit Herrn Bensinger sprechen wollten’. Sie sagten meinem Vater, dass sie Befehl hätten, ihn abzuholen… Meine Mutter machte einen kleinen Koffer fertig, wir wusste natürlich nicht, dass Dachau die Endstation war, dies erfuhren wir erst später…Man kann sich die Angst nicht vorstellen, die wir alle hatten um unseren Vater sowie um uns selbst. Wir erhielten ein bis zwei Postkarten aus Dachau, und mein Vater kam erst spät in der Nacht nach ca. drei Wochen zurück, körperlich unversehrt und fest überzeugt, dass wir so schnell wie möglich aus Deutschland emigrieren müssten.“

14. November: Postkarte aus dem Konzentrationslager Dachau

Hans Bensingers Schwester Ida erinnert „sich noch genau an die einzige Postkarte, die wir von meinem Vater erhielten, auf der stand:’ Ich bin in Dachau und gesund. Schickt mir zwanzig Mark.’ Wo diese Karte geblieben ist, weiß ich leider nicht, ich habe überall danach gesucht, aber nicht gefunden“.

Inzwischen hat Frau Ida Bensinger diese Karte gefunden, der Text ist im Kasten (unten) wiedergegeben.

Abschließend schreibt Hans Bensinger über seinen Vater und das Konzentrationslager Dachau: „Dachau war ein Familientreffen, es waren ungefähr acht Brüder und Schwäger, alle Frontsoldaten des 1. Weltkrieges: Der Dank des Vaterlandes ist dir gewiss.“

Literatur:

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